Podiumsdiskussion

Wissenschaft zwischen Anerkennung, Selbstsorge und Arbeitsorganisation

Dipl. päd. Alexander Wedel (TU Dresden)

An der Podiumsdiskussion nahmen Wissenschaftler/innen aus der Geschlechter- und Wissenschaftsforschung sowie Hochschulpolitik teil. Im Zentrum der Diskussion stand das Verhältnis von einerseits Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen als Arbeitgeber und andererseits Wissenschaftlerinnen und ihrer Arbeitsbedingungen. Beide stehen in der Spannung zwischen gesellschaftlich eingeforderter Leistungs- und Optimierungsorientierung und Bedürfnissen nach einem verlässlichen und gestaltbaren Arbeitsumfeld. Im Folgenden geht es um den verdichteten thematischen Verlauf der Podiumsdiskussion und die dabei entstandenen Thesen, Meinungen und Erklärungen.

Der erste Diskussionsschwerpunkt lag auf den Abhängigkeitsbeziehungen der Wissenschaftler/ innen in ihrer Qualifizierungsphase. Problematisch ist zuvorderst die Deutung von Arbeitsverhältnissen abseits der Professur als wissenschaftlicher Nachwuchs. Diese steht in einem Missverhältnis zur tatsächlichen Befähigung und Umsetzung von Tätigkeiten in Forschung, Administration und Lehre. Hier agieren Wissenschaftler/innen diesseits der Professur mit viel Autonomie. Dabei verlangen ihnen hohe Arbeitsanforderungen oftmals eine entgrenzte Arbeitsweise ab. Vertragslaufzeiten nehmen ab, alltägliche Arbeitszeiten werden dagegen verlängert und anderen Lebensbereichen abgerungen. Das grenzt Möglichkeiten für einen selbstfürsorglichen Umgang in alltagszeitlicher und lebenszeitlicher Perspektive deutlich ein. Das Prinzip der Bestenauslese als dominierender Anerkennungsmodus forciert eine Arbeitskultur enormer Leistungskonkurrenz, in der sich nur wenige durchsetzen können.

Lediglich jene Arbeit, welche als individuelle Leistung in der scientific community sichtbar wird, veranlasst eine Wertschätzung durch andere. Selbstsorge wird damit zum Tabuthema. Dementsprechend steigen viele Wissenschaftler/ -innen nach einigen Jahren spezialisierter Beschäftigung aus dem Wissenschaftsbetrieb aus, was einen immensen Verlust an Arbeitskraftpotenzial bedeutet. Universitäten ließen sich diesbezüglich als eine Art „Verbrennungs- und Kompetenzvernichtungsmaschinerie“ beschreiben.

Der Ökonomisierungsdruck führt auch zur Verdrängung jener Forschungsthemen und Studienrichtungen aus den Hochschulen und Wissenschaftsdiskursen, die sich nicht ohne weiteres an Wirtschaft und Industrie koppeln lassen. Teilweise herrscht unter Wissenschaftler/ -innen eine verbale Offenheit über problematische Abhängigkeitsstrukturen, dieser steht jedoch oftmals eine 'Verhaltensstarre' gegenüber. Diese kommt nicht zuletzt durch die hohe personelle Fluktuation im 'Mittelbau' zustande. Kurze Vertragslaufzeiten und damit verbundene Mobilitätszwänge bieten weder Anreiz noch Möglichkeiten für dauerhaftes und wirksames Engagement in der Hochschulpolitik und für authentisches Feedback im Arbeitszusammenhang. Diesbezüglich wurden die Fürsorgepflicht der Wissenschaftseinrichtungen und Professor/innen angemahnt.

Diese stehen in der Verantwortung, sich mit den Karrierevorstellungen und Lebensmodellen der Wissenschaftler/innen offen auseinanderzusetzen und nicht lediglich vom Wunsch eines Weges zu Professur „koste es, was es wolle“ auszugehen. Ein Ansatzpunkt dafür könnten Lehrveranstaltungen bieten, in denen bereits Studierende, d.h. zukünftige Wissenschaftler/-innen befragt und in die Hochschul- und Karriereentwicklung einbezogen werden. Förderung und Anerkennung ist letztlich nur mit dem Wissen um persönliche Zukunftspläne und Lebensbedingungen möglich.

Ursachen für den Aufrechterhalt der Abhängigkeitsverhältnisse im Wissenschaftsfeld werden besonders auf institutioneller Ebene vermutet. Im internationalen Vergleich gibt es deutliche Unterschiede in Karriereoptionen und in der Art und Weise der Mittelvergabe in Wissenschaftseinrichtungen. In Deutschland dominiert die Zuweisung von Personalmitteln auf Professuren, nicht auf Institute bzw. größere Arbeitszusammenhänge. Das kann erstens den Rückgriff auf informelle Absprachen und Beziehungsversprechen befördern und zweitens eine weitgehend personalisierte und einseitige Entscheidungs-macht über Beschäftigungsverhältnisse installieren. 

In der Geschlechterforschung wurden diese und weitere Faktoren umfassend als Ursachen von sozialer Ungleichheit im Wissenschaftssystem zum Nachteil der Frauen identifiziert.

In einem zweiten Schwerpunkt konzentrierte sich die Diskussion auf politische Ansatzmöglichkeiten und Veränderungsstrategien. Prinzipiell sendet die Etablierung gleichstellungspolitischer Instrumente – auch und besonders im Rahmen der Exzellenzinitiative – das Signal an Leitungsgremien, dass es eine neue Hochschulkultur braucht.

Im Diskussionskontext wurde sich vor diesem Hintergrund für die sogenannte 'Frauenquote' als wirksames Instrument zur Weiterentwicklung des Verantwortungsbewusstseins der Wissenschaftseinrichtungen ausgesprochen.

Zu einer neuen Hochschulkultur gehören weiterhin familienfreundliche Arbeitsbedingungen, aber auch die Fürsorgepflicht der Arbeitgeber, bspw. durch Mitarbeiter/innen-gespräche sowie Betreuungsvereinbarungen und eine geschlechtergerechte Personalakquise.

Im arbeitsrechtlichen Konstrukt der Fürsorgepflicht besteht ein konkreter Ansatzpunkt dafür, die Umsetzung von Chancengerechtigkeit als Aufgabenbereich in personelle Verantwortung zu stellen, ohne sich dabei auf mündliche Ab-sprachen mit konkreten Personen zu verlassen. Damit verringert man die Gefahr, dass zu viel von einer Person abhängt, die unter Umständen sogar auf eine beschränkte Beschäftigungszeit blickt. Noch mangelt es im Wissenschaftssystem einerseits an der Voraussetzung von entsprech-enden arbeitsorganisatorischen Fähigkeiten und deren Überprüfung für eine leitende Tätigkeit (z.B. in Berufungsverfahren) und andererseits an konkreten Maßnahmen zu Modellen und Möglichkeiten des Personalmanagements. Besonders die Datenlage zu Männern in fürsorglicher Verantwortung (z.B. Elternschaft) ist bisher eher spärlich. Zur Entwicklung entsprechender Handlungsmodelle und -leitlinien braucht es zunächst eine stärkere Integration von Geschlechterforschung und Gleichstellungspolitik. Damit gemeint ist kein einseitiger Wissenstransfer von der Forschung in die Praxis, denn auch die Geschlechterforschung findet in den Strukturen wissenschaftlichen Arbeitens statt und reproduziert allzu oft bestehende Ungleichheitsverhältnisse in der herrschenden Wissenschaftskultur. Vielmehr besteht die Notwendigkeit einer wechselseitigen Durchdringung und Verknüpfung beider Wissensbereiche.

Im Ausblick der Podiumsdiskussion ging es unter anderem um Orte der politischen Thematisierung der benannten Spannungsverhältnisse im Wissenschaftsfeld. Diese sind weder allein auf Führungsebene noch auf Ebene einzelner Lehrstühle oder Wissenschaftseinrichtungen zu suchen, vielmehr bieten gewerkschaftliche Zusammenschlüsse ein geeignetes Format, um die Befristung von Arbeitsverträgen auf der Ebene gesellschaftlicher Öffentlichkeit zu problematisieren. Zumal den Hochschulen prinzipiell die gesetzliche Möglichkeit zur Entfristung von Arbeitsverträgen zur Verfügung steht.

Für die Zukunft des Wissenschaftssystems in Deutschland wurden verschiedene Tendenzen skizziert.

Ein mögliches Szenario beschreibt den Aufrechterhalt der bestehenden Organisationsstruktur der Wissenschaft und eine Zunahme von Frauen auf Ebene der Professuren bei gleichzeitiger gesellschaftlicher Entwertung von Wissenschaft als Arbeitsfeld. Diese Entwicklung auf Ebene des Arbeitsmarktes wurde bereits in verschiedenen anderen Beschäftigungsbereich-en beobachtet. Denkbar sei zweitens ein Umbau des Wissenschaftssystems mit der Durchsetzung internationaler Standards in Deutschland, was dauerhafte Berufspositionen abseits der Professur und alternative Qualifikationswege neben dem Ziel der Habilitation einschließt.

Unabhängig vom eingeschlagenen Entwicklungspfad braucht die Wissenschaft eine intensive Diskussion um bestehende und mögliche Anerkennungsverhältnisse in lokalen Arbeitskulturen.

 

An der Podiumsdiskussion nahmen teil:

PD Dr. Heike Kahlert

Privatdozentin an der Stiftung Universität Hildesheim

Dr. Simone Menz

Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Dresden

Dipl.päd. Alexander Wedel

Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Dresden

Dr. Hildegard Küllchen

Frauenbeauftragte der TU Dresden

Dr. Katrin Pittius

Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Dresden

Moderation:

Dr. Theresa Lempp

Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Dresden