Dokumentation der Fachtage


„KarriereSorgen – Wissenschaft zwischen Exzellenz und Fürsorge“
in Dortmund und Leipzig (Juni 2014)

 

Die Technische Universität Dresden und das Institut für regionale Innovation und Sozialforschung (IRIS e.V.) führten mit Unterstützung des BMBF Fachveranstaltungen zum Themenfeld Wissenschaftskarrieren, Fürsorgeverantwortung und Geschlechtergerechtigkeit durch.

 

Die Integration von Frauen in Forschung und Lehre verändert Wissenschaften wie auch wissenschaftliche Praxis. Der sich vollziehende Wandel führt nicht zuletzt auf die Lebens- und Versorgungszusammenhänge von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zurück. In der aktuellen Wissenschafts- und Steuerungspolitik bleiben Fürsorgekontexte jedoch weitgehend außen vor. Dabei stehen Wissenschaftskarrieren in der Spannung zwischen familialen Versorgungsstrukturen einerseits und institutionellen Erwartungen und Abläufen anderseits. Daraus hervorgehende Karriereverläufe und Karrierestrategien von Wissenschaftlerinnen sowie institutionelle Förderstrategien haben wir im Forschungsprojekt „Wiedereinstieg in Wissenschaftskarrieren“ [Vortragsfolien Projektvorstellung] erschlossen.

Auf den Fachveranstaltungen mit dem Titel „KarriereSorgen – Wissenschaft zwischen Exzellenz und Fürsorge“ wendeten wir uns gezielt den Kollisionen wie auch den Verknüpfungen von Wissenschaften und Leben in fürsorglicher Verantwortung zu. Im Rahmen der Fachtage an den Wissenschaftsstandorten Dortmund und Leipzig diskutierten wir ausgewählte Ergebnisse unserer Forschung. Gemeinsam mit den Teilnehmerinnen der Veranstaltung erarbeiteten wir Bezüge zur lokalen Wissenschafts- und Gleichstellungspraxis. Der geführte Wissenschafts-Praxis-Dialog bietet Anregung zur Weiterentwicklung institutioneller Strategien zur Realisierung von Chancengerechtigkeit.

Die Fachveranstaltungen richteten sich explizit an das gleichstellungspolitische Personal sowie an alle Beschäftigten im Wissenschaftssystem, die in Fragen des Personalmanagements und der Hochschulsteuerung eingebunden sind. Der Teilnehmerinnenkreis setzte sich zudem aus Wissenschaftlerinnen und Mentorinnen zusammen, die sich forschend, persönlich oder begleitend mit Karriereverläufen auseinandersetzen. Besonders in Dortmund nahmen Wissenschaftlerinnen und Beschäftigte außeruniversitärer Forschungseinrichtungen am Fachtag teil.

 

Eröffnungsvortrag in Dortmund:

„Karrierefaktor Kind. Zur generativen Diskriminierung“

Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel (TU Dortmund)

 

Auf der Basis repräsentativer Erhebungen für Universitäten und Fachhochschulen problematisierte der Vortrag die fortdauernde Genderdifferenzierung im Wissenschafts- und Hochschulsystem als Elternfrage im Kontext prekärer Beschäftigungsverhältnisse und generativer Entscheidungen. Der Zugang generativen Verhaltens rückt das Karrierehandeln von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen in eine lebenszeitliche Planungs- und Deutungsperspektive. Dabei lenkte Frau Prof. Dr. Metz-Göckel den Blick konsequent von den individuellen Entscheidungen auf die „strukturellen Rücksichtslosigkeiten“ (Kaufmann 1994[1]) wissenschaftlicher Produktionsweise. Konkret widmete sich der Beitrag dem Phänomen der anhaltend hohen Kinderlosigkeit im Beschäftigungsfeld. Rahmenbedingungen einer strukturellen Reformierung des Hochschulsystems für eine elternzugewandte Wissenschaftskultur schlossen den Vortrag.

[Download der Vortragsfolien]

 

Eröffnungsvortrag in Leipzig:

„Wissenschaft zwischen Existenzsorgen und Leidenschaft“

Dr. Hildegard Küllchen (TU Dresden)

 

Aus europäischer Sicht skizzierte Dr. Hildegard Küllchen, Frauenbeauftragte der TU Dresden, ein gesellschaftspolitisches Stimmungsbild mit Blick auf das Verhältnis von Wissenschaft und Fürsorge und erinnerte an den Beginn deutsch-deutscher Transformation: Vor 20 Jahren flackerte die Forderung nach einer radikalen Umverteilung von Familien- und Fürsorgearbeiten zwischen den Geschlechtern erneut auf. Der aktuelle Ruf nach einem Equal-Time-Day knüpft an diese Debatten an. Ziel ist im Kern ein Mehr an zeitlicher Flexibilität in der gesamten, auch wissenschaftlichen Arbeitskultur und eine gelebte Freundlichkeit den Familien gegenüber. Vor besagtem Hintergrund kritisierte die Referentin die aktuellen Arbeitsbedingungen im Hochschulbereich. Diese werden dominiert von individuellen Förderbeziehungen, die um einen "als Ursache für die Benachteiligung von Frauen im Wissenschaftssystem anzuführen sind" (HRK, 13.5.'14[2]), zum anderen die anhaltend hohe akademische Kinderlosigkeit zur Konsequenz hat. Eine Lösung des im Titel benannten Dilemmas sieht die Referentin in der konsequenten Aufdeckung noch bestehender Ungleichheitsstrukturen, als auch in der Verknüpfung von Fürsorge- und Selbstsorgepraxis in der Wissenschaft.

[Download der Vortragsfolien]

 

Projektvortrag:

„Wissenschaftskarrieren in fürsorglicher Verantwortung - Karriereverläufe und Karrierestrategien von Wissenschaftlerinnen“

Dr. Simone Menz (WiFraWi)

 

Der Vortrag widmete sich dem Karriere- und Versorgungsmanagement aus Perspektive von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Professorinnen verschiedener Disziplinen und Institutionen. Der empirische Teil des Beitrags bezog sich auf Karriereverläufe sowie auf Karriere- und Fürsorgestrategien von Wissenschaftlerinnen im Zuge des Übergangs in Elternschaft. Die im Forschungsprojekt wie im Fachbeitrag geleistete Aufdeckung und Diskussion generativer und familialer Kontexte führte im Zuge des Vortrags zu Fragen der Anerkennung und Verantwortung einer geschlechter- und fürsorgegerechten Wissenschaftskultur.

In der Perspektive Wissenschaften in fürsorglicher Verantwortung wurden abschließend Handlungsempfehlungen auf folgenden Ebenen formuliert:

  1. Kulturwandel – Wissenschaft in fürsorglicher Verantwortung
  2. Reform des Wissenschafts- und Karrieresystems
  3. Hochschulsteuerung – Personalentwicklung, Professionalisierung
  4. Wiedereinstiegsförderung .

Als eine zentrale Forderung formulieren wir die volle Anerkennung biografischer und akademischer Leistungen von Wissenschaftlerinnen im Zuge der Karriereplanung. Letzteres beinhaltet die Berücksichtigung sogenannter Schattenleistungen, wie Lehre, Betreuung von Studierenden, akademische Selbstverwaltung etc.

[Download der Vortragsfolien]

 

Projektvortrag:

„Förderung in Wiedereinstiegsprogrammen - Unterstützung, Anerkennung, Exklusion“

Alexander Wedel (WiFraWi)

 

Der Vortrag stellte steuerungspolitische Dimensionen der Förderung im Wissenschaftsfeld vor. Grundlage waren Analyseergebnisse einer bundesweiten Erhebung von Förderprogrammen zum Wiedereinstieg in die Wissenschaft. Die Wissenschaftseinrichtungen konzipieren diese Förderung als Korrektur von Sorgekontexten in der Biografie. Dafür greifen sie auf familienorientierte Unterstützungsmaßnahmen mit paradoxen Anforderungen und Erfolgsindikatoren zurück und bieten Modelle zu Grenzziehungen zwischen Wissenschaft und Fürsorge an. Entlang der Inhalte ausgewählter Programmbestandteile ging es um die Organisation der Wissenschaftseinrichtungen von Entscheidungsprozessen, Arbeitsstrukturen und Förderstrategien im Spannungsfeld von Gender und Care. Der Vortrag schloss mit Handlungsempfehlungen für den Aufbau der Förderung fürsorglicher Verantwortung an Wissenschaftseinrichtungen.

[Download der Vortragsfolien]

 

Workshop I:

„Förderprogramme zur Unterstützung von Fürsorge­verantwortung“

Alexander Wedel / Nicole Runge (WiFraWi)

 

In den Workshops wurden jeweils mit Vertreterinnen aus Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen (Gleichstellungs- und Familienbeauftragte, Förderverantwortliche, interessierte Wissenschaftlerinnen) ausgehend vom Fachvortrag „Förderung in Wiedereinstiegsprogrammen - Unterstützung, Anerkennung, Exklusion“ die Handlungsempfehlungen zur Wiedereinstiegsförderung diskutiert.

Im Verlauf der Workshops erfolgte eine grundlegende Diskussion zu Veränderungs- und Steuerungsmöglichkeiten der Organisation von Förderung in den Wissenschaftseinrichtungen sowie zu Argumentationsstrategien für die Implementierung von Wiedereinstiegsförderung. Besonders die Vertreterinnen der außeruniversitären Forschungseinrichtungen interessierten sich für konkrete Möglichkeiten der Programmgestaltung entlang der empirischen Ausprägung aus der Programmanalyse des Forschungsprojektes. Die Vertreterinnen der Universitäten zeigten ein starkes Interesse an Handlungsstrategien zur Implementierung von Förderprogrammen.

 

Folgende zentrale Diskussionslinien kennzeichneten den Workshop in Dortmund:

 

Auf dem Fachtag in Leipzig konzentrierten sich die Diskussionen auf folgende Themen:

 

Workshop II:

„Wissenschaftskarrieren im Horizont von Fürsorge und Anerkennung“

Simone Menz/ Michael Rautenberg (WiFraWi)

 

Der Workshop II verstand sich als Fortsetzung der Betrachtung des Zusammenhangs von Wissenschaft, Karriere und Fürsorgeverantwortung. Die abschließenden Fragestellungen aus dem Vortrag von Simone Menz zum Karrierehandeln von Wissenschaftlerinnen in Familie wurden der Diskussion in der Arbeitsgruppe direkt vorangestellt, dabei wurde das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Anerkennung und (Selbst-)Fürsorge ins Zentrum gerückt: Was leisten Frauen in Wissenschaft und Forschung? Welche Leistungen werden anerkannt, welche verdeckt? Schließlich wurde der Frage nachgegangen: Wie kann eine Kultur fürsorglicher Verantwortung gelebt werden?

Der Workshop war entsprechend zweigeteilt: Angeregt durch die Vorstellung der Fallgeschichte einer alleinerziehenden Fachhochschulprofessorin (Teil 1) entwickelte sich eine kritische Diskussion gängiger Wissenschafts- und Karrierepraxis (Teil 2). Zunehmend stellten sich die Teilnehmerinnen selbst ins Verhältnis zur Wissenschaft als einer interpersonell verbundenen Lebensform (vgl. Vortrag von Sigrid Metz-Göckel). Die Idee eines selbst-fürsorglichen Umgangs als Wissenschaftlerin bleibt notwendig begrenzt in den Möglichkeiten von Wissenschaften als Beruf resp. Berufung. Dabei entscheiden lokale Beziehungsnetze, fächerspezifische Wissenschaftskulturen und nicht zuletzt wissenschaftliche Führungspersonen, namentlich Professorinnen und Professoren, Mentorinnen und Mentoren etc., über mögliche Spielräume und Alternativen zu bestehenden Arbeits- und Rekrutierungspraxen.

Auf den beiden Fachtagen resp. an den verschiedenen Wissenschaftsstandorten variierten die Schwerpunkte der Auseinandersetzung rund um eine fürsorgegerechte Wissenschaftskultur. In Dortmund stand die biografische Verhandlung von Karriere und Familie im Vordergrund, der Workshop bot Gelegenheit zur Entdeckung des eigenen widerständigen Potenzials als Wissenschaftlerin in fürsorglicher Verantwortung im alltäglichen Wissenschaftsbetrieb bis hin zur professoralen Selbstkritik. In Leipzig fand quasi die Fortsetzung der (selbstkritischen) Professionalisierungsdiskussion statt. Darüber hinaus wurden alternative Karrierewege (populäres Beispiel: Karriereversion Wissenschaftsmanagement, vgl. Vortrag Simone Menz) debattiert. Die anwesenden Kolleginnen aus den Bereichen Wissenschaft, Hochschulmanagement und Gleichstellung deckten weiteren Forschungsbedarf auf, so stelle sich die Versorgungsfrage nicht allein Wissenschaftlerinnen in Familie. Wie versorgen sich Wissenschaftler? Welche Karriere- und Fürsorgestrategien verfolgen Kinderlose? Zudem wurde die Frage nach denen gestellt, die bereits aus dem Wissenschaftssystem ausgeschlossen sind (Stichwort: verlorene resp. verratene Generation, vgl. Vortrag Hildegard Küllchen).

 

Resümee und Fazit:

Ausbau von Anerkennungskulturen – Fortsetzung des Dialogs

von Geschlechterforschung und Gleichstellungspolitik

 

Die Aufdeckung und Thematisierung von Verantwortung und Versorgung im Arbeitsfeld Wissenschaft und Forschung führt zwingend zu Fragen der Anerkennung, der Gerechtigkeit und der (Zwischen-)Menschlichkeit, logisch hinterfragt werden Gleichheitsnorm, Leistungsmoral und schließlich das Geschlecht der Wissenschaft.

Die dialogisch ausgerichtete Fachveranstaltung zielte auf den Ausbau wie auf die Integration von Geschlechterforschung und Gleichstellungspraxis. Das besondere Anliegen von Seiten der ProjektmitarbeitertInnen und Veranstalter der Fachtage in Dortmund und Leipzig bestand darin, die im Forschungsvorhaben entwickelte Perspektive von Wissenschaft in fürsorglicher Verantwortung in den Wissenschafts- und Praxisdialog einzubringen. An dieser Stelle danken wir namentlich den Referentinnen, Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel und Dr. Hildegard Küllchen, die mit ihren Beiträgen aus Forschung und Gleichstellungspraxis direkte Verbindungen zwischen Wissenschaft und Fürsorge herstellen und aufzeigen konnten.

In diesem integrierenden wie anregenden Sinne verliefen ebenso die Diskussionsrunden und Workshops. Entsprechend der jeweiligen thematischen Ausrichtung wurde der Dialog auf verschiedenen Ebenen geführt: Während der Workshop I (zu Wiedereinstiegsprogrammen) sehr direkt und konkret Steuerungsmöglichkeiten und Argumentationsstrategien für die Implementierung einer lebenszeitlich orientierten Wiedereinstiegsförderung erörterte, stellte sich der Workshop II vor dem empirischen Hintergrund konkreter Karriere- und Fürsorgestrategien von Wissenschaftlerinnen den grundlegenden Fragen einer geschlechter- und fürsorgegerechten Wissenschaftskultur. Hiernach leisteten die Workshops ein Weiteres: In ihrer Unterschiedlichkeit bildeten die Diskussionen die verschiedenen Wissensbestände und Handlungslogiken im Wissenschafts- und Hochschulsystem ab, darüber wurden Differenzen wie Annäherungen sichtbar. Es gilt daher, den notwendigen Dialog zwischen Geschlechterforschung und Gleichstellungspraxis fortzusetzen. Konkrete Anlässe sind im direkten Nachgang der Veranstaltung bereits formuliert.

Wir danken herzlich allen Teilnehmerinnen für das entgegengebrachte Interesse an unseren Forschungsergebnissen wie für kritische und anregende Nachfragen. Nicht zuletzt bedanken wir uns für gewonnene Einblicke in konkrete Schaffensbezüge.



[1] Kaufmann, F.-X. (1994): 5. Familienbericht. BMFSFJ, Bonn.

[2] http://www.hrk.de/uploads/tx_szconvention/HRK_Empfehlung_Orientierungsrahmen_13052014.pdf